Unsere brandaktuellen CD-Kritiken
Die Musik-Tipp4U für den Februar
Wir sind ganz ehrlich: In den vergangenen zwei Jahren haben wir auf so viele Konzerte und Veranstaltungen verzichtet, dass wir es gar nicht erwarten können, endlich wieder vor der Bühne zu stehen und zu unseren Idolen nach oben blicken zu dürfen. Dafür brauchen diese natürlich entsprechend neues Material, um es zur Aufführung zu bringen. Und wir verraten wohl nicht zu viel, wenn wir schon jetzt von einer vielversprechenden Saison 2022 orakeln. Insbesondere Freunde härterer Rock-Klänge dürfen sich im Februar schon einmal geistig auf die Mosh-Pit vorbereiten. Aber keine Sorge: Auch Freunde des elektronisch geschwungenen Tanzbeins kommen voll auf ihre Kosten. Fehlt eigentlich nur noch der ein oder andere Tourtermin …
Inhalt der Seite
Saxon
Carpe Diem
Slash feat. Myles Kennedy
4
Nur einer steht laut Times Magazine vor Slash in der Liste der besten Gitarristen aller Zeiten: Jimi Hendrix. Und der ist so weit außen vor, dass man ihn als unerreichbar eigentlich ignorieren könnte. Man kann es auch anders ausdrücken: Der Guns n‘ Roses-Saitengott ist der beste noch lebende Gitarrist auf diesem Planeten. Was er leider immer noch nicht mit einem neuen Alterswerk an der Seite von Axl Rose unter Beweis stellt, sondern nun bereits zum fünften Mal Solo. Wobei: Das ist nicht ganz richtig: Für die letzten vier Alben hat er sich Sänger Myles Kennedy und die Conspirators als Begleitkapelle zur Seite geholt. Und die machen auch hier das, was man von ihnen erwartet: Die kräftig rockende Grundierung für die Ausnahmekunst von Slash legen, der das Album mit seinen Kollegen live im historischen RCA-Studio in Memphis eingespielt hat. Das Ergebnis: Energie, die sich unmittelbar auf die Hörer überträgt. Und die ihre Wurzeln zu keiner Zeit verleugnet.
Alt-J
The Dream
Fragt man Leute nach dem britischen Alternative-Trio alt-J, erntet man wahrscheinlich oft nur unwissendes Kopfschütteln. Dabei hat wahrscheinlich schon jeder mal einen der Seelenschmeichler gehört, mit denen sie seit 2012 für Aufhorchen sorgen. Über zwei Millionen Mal haben sich die bislang drei Alben der Mercury-Preisträger verkauft, gestreamt wurden ihre Songs gar zweieinhalb Milliarden Mal. Die Briten gehören unzweifelhaft zu den erfolgreichsten britischen Acts des dritten Jahrtausends. Warum das so ist, unterstreichen sie mit den zwölf Songs von „The Dream“, das sich von alten Hollywood-Legenden und –Verbrechen inspiriert zeigt und uns mit dem vorab veröffentlichten „Get Better“ schon einen Vorgeschmack auf die musikalische Wolldecke geliefert hat, in die wir uns bis zum Sommer einzuhüllen gedenken. Ein Traum!
Scorpions
Rock Believer
Die Scorpions sind noch ein bisschen länger im Hardrock-Geschäft unterwegs als ihre britischen Kollegen von Saxon. Ihr erstes Album „Lonesome Crow“ haben sie vor ziemlich genau 50 (!!) Jahren veröffentlicht. Trotzdem werden die Hannoveraner um die beiden Mittsiebziger Klaus Meine und Rudi Schenker nicht müde, den „Wind of Change“ zu predigen und mit ihrer Musik auch umzusetzen. Für ihr in der Corona-Isolation entstandenes neuestes Werk hat sich die Band zum ersten Mal seit langem wieder komplett gemeinsam ins Studio begeben, um ihren Glauben an die Rockmusik mit Leben zu füllen. „Wir haben als Band alle zusammen in einem Raum gespielt (…), genauso, wie wir es in den 80er-Jahren gemacht haben.“ Entsprechend energetisch und kompromisslos klingt „Rock Believer“, ein Alterswerk, dass den jugendlichen Elan der Anfangsjahre mit der Reife des Alters und der Produktionstechnik von Morgen vermählt.
Tocotronic
Nie wieder Krieg
Einer der zentralen Lehrkörper der sogenannten Hamburger Schule meldet sich – vier Jahre nach „Die Unendlichkeit“ und zum ersten Mal seit dem pandemischen Paradigmenwechsel – mit einem neuen Album zurück. Gerade rechtzeitig, um uns in einer Zeit verlorener Gewissheiten mit neuen Parolen und Slogans zu beglücken. Und mit Songs, die wohl noch nie in ihrer Karriere so rund und zugänglich geklungen haben. Vom balladesken Songwriter-Juwel „Nie wieder Krieg“ über das gar nicht so sperrige „Jugend ohne Gott gegen Faschismus“ bis hin zur „Hoffnung“ tun die Mannen um das lyrische Ausnahmegenie Dirk von Lotzow alles dafür, uns letztere wieder zu geben. Für das wunderschöne „Ich tauche auf“ hat man sogar die österreichische Schwester im Geiste, Soap & Skin, eingeladen. So viel „Liebe“ war selten in den Herzen der Hamburger Indie-Ikonen.
Korn
Requiem
Fast 30 Jahre sind die Nu-Metal-Legenden nun schon im Geschäft, da wäre es doch an der Zeit, sich langsam vom Nu zu verabschieden, oder? Immerhin klingt ihr „Requiem“, zweieinhalb Jahre nach „The Nothing“ und fast fünf seit „The Serenity of Suffering“, zuweilen ungewöhnlich hoffnungsvoll für ein unter Pandemiebedingungen entstandenes Album. Ganz programmatisch hieß die erste Single des nur neun Tracks starken Albums „Start the Healing“, was allerdings nichts heissen muss. Der Album-Abbinder nämlich verspricht bereits „Worst Is On Its Way“. Bis es so weit ist, gibt es allerdings eines der musikalisch ausgereiftesten Werke von Korn. Nicht zuletzt deshalb, weil die Pandemie den Kaliforniern ungewöhnlich viel Zeit für den kreativen Schaffensprozess ermöglicht hat. Nur etwas mehr als die gut 30 Minuten hätten es schon sein dürfen …
Kissin‘ Dynamite
Not The End Of The Road
Die deutsche Metal-Kombo Kissin‘ Dynamite ist so ziemlich das Gegenteil ihrer Hannoveraner Kollegen von den Scorpions. Trotz Gründung vor 20 Jahren immer noch blutjung nämlich – Sänger Hannes Braun wird demnächst erst 30! Trotzdem klingen die Jungs schon wie die ganz Alten bzw. Grossen: Nach Stadion und 80ies-Vibe nämlich. Und nach Riffs, wie sie von AC/DC und Konsorten nicht besser unter das headbangende Volk gebracht hätten werden können. Knapp 14 Jahre nach dem Debütalbum der damals sechzehnjährigen zeigt man mit dem ersten Album für Napalm Records nun, dass das Ende des Weges noch lange nicht erreicht ist. „Not The End Of The Road“ zelebriert dabei nicht nur astreinen Power-Metal der Marke „What Goes Up” und „No One Dies A Virgin”, sondern auch die eher glamigen Bandwurzeln. Und ist sich auch für die ein oder andere Ballade nicht zu schade.
Metronomy
Small World
Die Welt ist ein bisschen kleiner geworden in den langen Monaten (und Jahren) von Selbstisolation und Reisebeschränkungen. Ein Umstand, dem nun auch Joe Mount von Metronomy Rechnung trägt. Statt der weit ausholenden und elektronisch geprägten Arrangements von etwa „Metronomy Forever“ wirkt „Small World“ wie eine Rückbesinnung auf das, was bei Musik (meistens) am Anfang steht: Gutes Songwriting. Dass Mount das beherrscht, hat er schon öfter gezeigt, selten aber in derart reduziert erscheinender Form. Fast wie ein klassisches – und übrigens ganz grossartiges, weil zeitloses – Popalbum kommt „Small World“ daher. Reduziert auf neun Songs, ein überschaubares Instrumentarium und ganz großartige Melodiebögen und kompositorische Ideen. Manchmal bedeutet weniger global halt doch maximalen kreativen Gewinn.